Zur geschichtlichen Entwicklung der Arbeiterwohlfahrt und ihrer Jugendarbeit
Die Triebkräfte, politischen und sozial-ethischen Zielsetzungen, die 1919
zur Gründung des »Hauptausschusses für Arbeiterwohlfahrt«
durch Marie
Juchacz geführt haben, unterscheiden sich deutlich von den Ideen, die die
Entstehung und Entwicklung der viel älteren kirchlichen/konfessionellen
Wohlfahrtsarbeit gefördert haben.
Es waren die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Jahrhundertwende,
es war die Zeit der Industrialisierung Deutschlands und der daraus erwachsenden
»sozialen Bewegungen«, die die Arbeiterwohlfahrt hervorbrachten. Drei Faktoren
waren dafür vor allem entscheidend:
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Die große Not der in den Industriegebieten zusammengeballten Arbeiter. |
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Eine Arbeiterbewegung, die diesen Menschen im Kampf gegen die bestehende
gesellschaftliche und staatliche Ordnung aus ihrem Elend zu erlösen
versprach. |
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Die sich in Wissenschaft und Staatspraxis entfaltende Idee einer
staatlichen Sozialpolitik. |
Gegenüber den neuen Formen sozialer Not in dieser Zeit erwiesen sich die
traditionellen Mittel privater Vereine und die der öffentlichen Armenpflege als
völlig unzulänglich. Das sich in der sozialistischen Bewegung entwickelnde
Selbstwertgefühl des sich aus seinen Abhängigkeiten befreienden Arbeiters musste
die überlieferten Sozialreformen der Wohlfahrtspflege als unerträgliche
soziale und rechtliche Diskriminierung empfinden.
Aus diesem Bewusstsein heraus entstanden 1903 die »Kinderschutzkommissionen«,
die ihre Aufgabe darin sahen, das in Kraft getretene Gesetz gegen die
Kinderarbeit zu kontrollieren bzw. Auswüchse zu unterbinden. Um die Kinder
wenigstens vorübergehend aus ihrem niederdrückenden Milieu zu befreien,
entstand der Gedanke, »Ferienwanderungen« und »Stadtranderholungen«
zu organisieren. Damit wurden Formen gegenseitiger Hilfe, die vor allem die
Arbeiterfrauen in Gewerkschaften und Genossenschaften kennen gelernt und geübt
hatten, auf die Hilfe für Kinder und ihre Eltern übertragen.
Bei der Gründung der Arbeiterwohlfahrt ging es - in Übereinstimmung mit den
Auffassungen der deutschen Sozialdemokratie - in erster Linie um die Schaffung
einer Institution zur Sicherung der »Mitwirkung der Arbeiterschaft bei der
Wohlfahrtspflege, um hierbei die soziale Auffassung der Arbeiterschaft
durchzusetzen« (Vorläufige Richtlinien von 1920). Der erste Schwerpunkt in der
Tätigkeit der Arbeiterwohlfahrt lag dabei in der sozialpolitischen Einflussnahme
auf Struktur, Inhalt und Gesetzgebung der Wohlfahrtspflege aus
sozialdemokratischer Sicht. Zugleich entwickelten sich im Rahmen der
Arbeiterwohlfahrt individuelle Hilfen - wesentlich ausgelöst durch das bereits
vor der Gründung des Hauptausschusses für Arbeiterwohlfahrt erfolgte
Engagement sozialdemokratischer Frauen in Kinderschutzkommissionen und in den
Kommissionen der Kriegswohlfahrtspflege.
Diese sollte nicht die öffentliche Sozialversicherung ersetzen, sondern
lediglich als ergänzende Arbeit verstanden werden und dabei insbesondere dem
Ziel der Demokratisierung der Wohlfahrtspflege durch Einbeziehung der bislang
vernachlässigten Arbeiterschaft und der Entwicklung zukunftsweisender Modelle
und Arbeitsansätze dienen.
Die Arbeiterwohlfahrt wurde 1933 als einziger Wohlfahrtsverband verboten und
aufgelöst.
Seit der Wiedergründung 1946 hat sie sich als selbständige
Organisation entwickelt. Nach ihren Grundsätzen und Richtlinien, ebenso im
praktischen und politischen Handeln, bewegt sich die Arbeiterwohlfahrt im Rahmen
des demokratischen Sozialismus und versteht die Grundwerte Freiheit,
Gerechtigkeit und Solidarität als Motivation und Orientierung ihrer Arbeit.
Im Jahre 1924 beteiligte sich die Arbeiterwohlfahrt an der Gründung der
Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde. Neben der Arbeiterwohlfahrt waren
weitere Mitglieder dieser Arbeitsgemeinschaft:
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»Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands« |
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der »Allgemeine Deutsche
Gewerkschaftsbund« |
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die »Sozialistische Arbeiterjugend« und |
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der »Verband
sozialistischer Lehrer«. |
Zur Zusammenarbeit zwischen der Kinderfreundebewegung
und der Arbeiterwohlfahrt wurden Richtlinien festgelegt. Die Kinderfreundebewegung kann als ein Vorgänger der heutigen
SJD »Die
Falken« betrachtet werden, es sind in sehr vielen Beziehungen Parallelen
zwischen der damaligen Arbeit der Kinderfreunde und der heutigen Arbeit der SJD
»Die Falken« festzustellen. Auch vor dem Hintergrund der historischen
Zusammenhänge gesehen, lässt sich die Notwendigkeit einer gegenwärtigen und
zukünftigen Zusammenarbeit zwischen der Arbeiterwohlfahrt und den Falken
begründen. Die auch heute noch gelegentlich erhobene Forderung, dass die
Arbeiterwohlfahrt keine eigene Jugendorganisation benötige, sondern mit den
Falken zusammenarbeiten sollte, ist von diesem historischen Hintergrund her zu
sehen.
Auch die Kinder- und Jugendarbeit der Arbeiterwohlfahrt wurde nach dem
Wiederaufbau der Organisation verstärkt gefördert.
1955 fasste der Hauptausschuss den Beschluss, Kinder- und Jugendgruppen als
Freundschaftsgruppen der Arbeiterwohlfahrt zu gründen. Entsprechend dem
Bedürfnis der Kinder und Jugendlichen auf Gemeinschaft sollten durch die
Freundschaftsgruppen vor allem folgende Absichten verfolgt werden:
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Die begonnene pädagogische Arbeit der Ferienlager durch kontinuierliche
Arbeit in Gruppen am Wohnort der Kinder und Jugendlichen fortzusetzen und zu
vertiefen. |
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Dem Mangel an jungen Helfern dadurch entgegenzuwirken, dass durch die
Arbeit der Freundschaftsgruppen junge Menschen auch in Berührung kommen und
Interesse finden an den Aufgaben der Arbeiterwohlfahrt und somit motiviert
werden, die Arbeit der Arbeiterwohlfahrt später weiterzuführen. |
Der Hauptausschuss der Arbeiterwohlfahrt legte für die Freundschaftsgruppen
Richtlinien zur Bildung und Förderung von Freundschaftsgruppen fest. Ein
wesentlicher Aspekt dieser Richtlinien war, junge Menschen zu sozialem Denken
und Handeln hinzuführen.
Die Bundeskonferenz 1965 in Nürnberg empfahl den weiteren Aus- und Aufbau
von Kinder- und Jugendgruppen. Sie setzte einen Arbeitskreis für diese Aufgabe
ein.
Auf der Bundeskonferenz 1969 in Berlin erfolgte die Grundsteinlegung für den
Aufbau, die Führung und Förderung von Kinder- und Jugendgruppen durch die
Verabschiedung einer Satzung für das Jugendwerk der Arbeiterwohlfahrt.
Literaturquellen: Max Westphal (Hrsg.), Handbuch für
sozialistische Erziehung, Berlin
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